Aufgefangen sind wir wieder. Und blicken zurück: es begann an einem sonnigen Morgen. Wir waren gerade dabei, unsere kostbare Fracht ihrer Bestimmung zuzuführen, wir übergaben die Stoffe an die Umschlagstellen, von denen sie zur Weiterverarbeitung gebracht werden sollten. Und dort waren wir fast fertig, gleichzeitig den Umschlag fördernd und überwachend, wir spendeten Schutz vor den Gefahren und halfen, wo wir konnten. Und dann kam eben die Sonne hervor und schon bald war unsere Arbeit zuende. Wir wurden hinfort gerissen, hinfort hinauf in die Luft, nicht im Ganzen, nein zerteilt. Stückweise. Und so schwebten wir, wir waren locker ausgebreitet nicht zu sehen, wir standen dem Frühaufsteher mehr als ein Gefühl, denn sicht- oder hörbar zur Verfügung.
Doch kaum jemand hat uns bemerkt. Und so ging es weiter, hinauf, immer hinauf zum Sammelplatz. Dort wiederum konnten wir wieder Form annehmen, wir wuchsen wieder und wir waren nun nicht mehr alleine, wir trieben in grossen Gruppen voran und wir trieben weit davon. Viele Stunden verbrachten wir auf diesem Weg, der uns so weit führen sollte, weit hinaus zu unserem neuerlichen Einsatz. Und wir wurden mehr und mehr, es nahm gar kein Ende. So wurden wir auch sichtbar, sichtbar dem Rest der Welt. Und immer weiter zogen wir, getrieben, dahin.
Dann näherten wir uns dem grossen Moment. Jeder von uns wuchs noch weiter, er wuchs soweit er vermochte, er nahm auf, was in seine Nähe kam, bis er wieder volle Grösse erreicht hatte. Und dann sprangen die ersten ab. Sie stürzten sich hinab in die Tiefe zu einem neuen Kreis des Schaffens. Und so sprangen wir nach und nach alle ab. Und wir fielen, wir fielen lange, nicht so lange, wie wir aufgestiegen waren, nicht so lange, wie wir getrieben waren, aber noch immer lange genug. Lange genug für einige Gedanken:
"wenn ich nun hier falle, werde ich überhaupt irgendwo aufkommen?" Wir waren uns dessen bewusst, dass nicht alle von uns ihr Ziel erreichen würden. Manche würden zerfallen, sie würden in anderen aufgehen, sie würden vielleicht sogar wieder aufsteigen müssen, in kleinen Teilen, um später einen neuen Versuch zu starten.
"werde ich lange genug fallen?" Wir wussten, dass manche von uns nie dort ankommen würden, wo wir primär gebraucht würden. Es gab seltsame Dinge hier oben seit einiger Zeit. Sie fingen einen in freien Fall auf und trennten einen so von den anderen, zogen eine Spur der Verwüstung durch unsere Reihen. Auch Leben konnte uns hier in die Quere kommen, selten, aber doch konnte es geschehen.
"wenn ich ankomme, werde ich in einem Speicher landen?" Speicher waren unzweifelhaf notwendig und gut. Aber Teil eines Speichers zu sein, war nicht erfüllend, für niemanden von uns. Man wartete bloss darauf, dass man endlich wieder hoch durfte, man hatte oft lange Wege zurückzulegen bis dahin. Und es war leider häufig der Fall, dass man einen Speicher erwischte.
"falle ich vielleicht in einen Transportweg?" Das wäre eine bessere Version von Speicher. Man würde sich wenigstens bewegen, rumkommen, man hätte gegebenenfalls sogar Aufgaben zu erfüllen, man würde helfen und, mit etwas Glück, dort heraus in einen neuen Krieslauf gelangen.
"falle ich eventuell auf leblosigkeit?" Das ist einer der wenigen wirklichen Alpträume. Etwas lebloses. Dort kann man nichts tun, als einen Weg davon weg zu suchen, nach unten, tief nach unten, hin zu Transportwegen meist, oder Speichern, hauptsache weg da. "werde ich Fracht aufnehmen?" Das war unser Hauptanliegen. Dafür existierten wir. wir wollten Fracht aufnehmen, das geht hauptsächlich in lebendigen Teilen der Erde. Dort lag unser Ziel, dort wollten wir alle hin. Und dann, dann würden wir die Fracht weitergeben können, an ihre Bestimmungsorte. Und schliesslich käme der Rückweg, er wäre vielleicht beschwerlich, aber er würde ein annehmbares Übel darstellen, denn er wäre in der Gewissheit, nützlich gewesen zu sein, zurückgelegt.
"vielleicht, vielleicht..." Ja, es gab auch Hoffnung, Hoffnung auf eine ganz besondere Rolle. Man könnte nämlich aufgefangen werden. Und wieder eine Schutzfunktion haben, man würde liebkosen können und schliesslich in das Leben selbst vordringen, man würde dort wichtige Dinge zu tun haben, man würde es erhalten und erneuern. Und man würde die Fracht der anderen mitverteilen, man würde sogar mit einladen helfen und dann alles an seinen Bestimmungsort bringen. Und schliesslich würde man zerlegt und wieder hinausgeschickt werden. Man würde erneut aufsteigen und weiter machen.
Und so fielen wir an diesem lauen Abend. Jeder mit seinen Gedanken und Hoffnungen. Viele sah ich enttäuscht und viele sind nun nicht mehr bei uns. Aber ich bin mit anderen zusammen gefangen worden. Und so sind wir nun hier und beginnen unsere Reise durch das Leben. Und wir sind glücklich, denn Leben ist das beste, was uns passieren konnte. Und jeder von uns würde sein bestes geben, um es wo immer möglich zu unterstützen. Dafür waren wir da, dass war die Krönung unseres Daseins. Vielleicht würden wir schon im nächsten Durchlauf wieder in den Hauptspeicher fallen, dort war jeder von uns schon und es dauerte manchmal unendliche Zeitspannen, bis man dort wieder herauskam.
Aber heute, heute sind wir bereit für eine wichtigere Reise und die werden wir nun beginnen. Lass dich nicht durch meine Worte scheuen, sie sind nur in Eile gesprochen. Nimm dir Zeit und rede mit den Freunden, die in Speichern momentan auf ihre Erfüllung warten. Sie werden dir bessere Auskunft geben können über unsere Funktion, über unseren Willen und unsere Wünsche. Ich werde nun gehen und wir werden uns wohl nie sehen, obschon du von meinen Brüdern umgeben und durchdrungen bist. Denke daran, wenn du an mich denkst!