Herr Weber beendet sein (langweiliges) Leben

Nun, dachte Herr Weber, nun ist es soweit. Er hatte ein Messer da und zwar extra ein langes, man musste zwischen der zweiten und dritten Rippe durchstechen, mit ein bißchen Gewalt und dann wäre es vorbei. Ganz einfach. So, nun nur noch die Frage, ab man nicht lieber rüber ins Bad geht: schließlich sind die Fliesen und Kacheln leichter zu reinigen als Teppich oder gar Tapete und ziemlich sicher würde es eine ziemliche Schweinerei werden. Andererseits war das Bad eher klein und ungemütlich. Kein schönes Ambiente für einen Selbstmord. Und was würde es ihn schon stören, wenn er einmal tot wäre, wie das Haus aussieht?

Vielleicht konnte man aber einen Kompromiß finden, indem man in die Küche ginge? Ja, die Küche war auch gefliest und außerdem war es dort so schön hell und warm, auch jetzt, im Oktober noch. Das war die Idee. Also ging Herr Weber hinüber in die Küche. Dort setzte er sich an den Tisch, legte sein Messer zum Zustechen bereit vor sich hin und wartete. Nach einigen Momenten fragte er sich, worauf er eigentlich wartete. Niemand würde kommen und ihn ermorden, das musste er, wie eigentlich alles in seinem Leben, schon alleine tun. Und er erwartete auch sonst niemanden, wegen dem er seinen Selbstmord hätte unterbrechen mögen. Also, her mit dem Messer und los! Aber irgendwie war etwas noch nicht ganz richtig.

Herr Weber ließ seinen Blick über die schönen Schränke schweifen, teuer waren sie gewesen, ja, aber jeden Euro wert. Vielleicht sollte er noch ein letztes Mal einen Cappuccino trinken. Nichts großartiges, einfach nur etwas Pulver mit heißem Wasser aufgegossen, nicht, dass er sich jetzt deswegen noch hinausbegeben wollte. Ja, das war eigentlich eine sehr gute Idee. Ob er nun ein paar Minuten früher oder später starb, darauf kam es ja auch nicht an. Also stand er auf und setzte etwas Wasser auf. Er nahm eine große Tasse hervor und füllte Pulver hinein, dann goß er es auf und setzte die heiße Tasse auf den Tisch hinüber.

Langsam trank er den Cappuccino, es war schließlich sein letzter, also musste er ihn auch gebührend würdigen. Allerdings war es nicht sein bester Cappuccino, er mochte die Sorte nicht. Nächstes Mal würde er wieder eine andere nehmen, oder nein, genau genommen würde es ja kein nächstes Mal geben. Wenn er sich aber, hypothetisch gesprochen, nicht umbringen würde, dann hätte dieser Hersteller einen Kunden verloren. Obwohl er sich nicht sicher war, das die Kaffeerösterei, die diesen Cappuccino herstellte, jemals von seinem Tod erfahren würde, geschweige denn, dass er nie wieder Kaffee von ihnen gekauft hätte, auch, wenn er weiterleben würde, gab ihm das das Gefühl, es noch einmal jemandem wirklich gezeigt zu haben.

Dieser Entschluss, keinen Kaffee dort mehr zu kaufen, das war eine der wenigen richtigen Entscheidungen seines Lebens gewesen. Was allerdings jetzt, wo er diesen Cappuccino, der wirklich nicht schmeckte, ausgetrunken hatte, auch egal war. Und dann dieser Nachgeschmack, noch ein guter Grund, sich umzubringen, dachte Herr Weber. Als er wieder zu seinem Messer griff, um nun endlich alles zuende zu bringen, bemerkte er, dass etwas von dem Cappuccino auf die Klinge getropft war. Das ging natürlich nicht. Wenn er schon Selbstmord beging, dann doch nicht mit einem dreckigen Messer. Blitzen musste es, man sollte sich darin spiegeln können, sein Herz sollte sich noch einmal darin selbst erkennen, bevor es aufhören würde zu schlagen.

Natürlich wusste Herr Weber, dass ein Herz keine Chance hatte, sich selbst in einem Messer zu sehen, dass scheiterte schon an dem Fehlen von Augen, außerdem wäre alles viel zu schnell vorbei. Trotzdem, das Messer musste schon blitzblank sein, der Gedanke an Cappuccino in seinem Herzen war ihm irgendwie zuwider. Also, ein Tuch her, die Tischdecke musste er dafür ja auch nicht einsauen. Natürlich gab es keine Tücher mehr hier oben. Super. Er musste also auch noch in den Keller gehen und neue Tücher hochholen, so ein Selbstmord war schon sehr aufwendig.

Also stand er auf, ging hinüber zum Kellereingang und wollte gerade ansetzen, die Treppe hinunterzusteigen, als die Glühbirne, die ihn mit ihrem Flackern schon länger geärgert hatte, ihren Geist endgültig aufgab. Und sie war das einzige gewesen, was den Abstieg in den Keller von einem Selbstmordunternehmen in ein kalkulierbares Risiko verwandelt hatte. Herr Weber fluchte auf sein Glück. Er war sich zwar sicher, dass es sich schon lange aus dem Staub gemacht hatte, es war bestimmt mit seinem Selbstvertrauen durchgebrannt, die beiden mussten ein tolles Leben führen....Trotzdem war es einfach unfair, dass ihn das Leben noch im Sterben derart behinderte.

Also holte er aus der Abstellkammer eine neue Glühbirne, die letzte. Ab Montag sind die im Angebot beim Baumarkt hier um die Ecke, dachte Herr Weber, ich würde welche holen gehen, gleich Montag nachmittag, wenn ich mich nicht umbringen würde. Aber solche Überlegungen waren ja eh Blödsinn. Nachdem er die Blühbirne gewechselt hatte, stieg er mit der üblichen Vorsicht hinab in den Keller. Dort fand er nach kurzen Suchen die gewünschten Tücher. Als er sich dann aber gerade wieder an den Aufstieg machen wollte, fiel sein Blick auf den alten Schleifstein, der in einer Ecke des Regals schon so lange herumlag. Dabei fragte er sich unwillkürlich, ob das Messer überhaupt scharf genug war.

Er stellte ja keine großen Ansprüche an dieses Messer, aber wenn es so auf halbem Wege zum Herzen stecken bliebe, das wäre doch sehr ärgerlich, womöglich würde er selbst in ein Koma fallen oder sowas und dann könnte er höchstens noch verbluten, aber ansonsten wäre der Plan missglückt. Nein, das konnte und wollte er nicht zulassen, ein gescheiterter Selbstmordversuch, dass war das letzte, was er brauchte, er hatte in jeder Beziehung des Lebens versagt, dieses eine Mal würde alles perfekt sein. Also nahm er den Schleifstein gleich mit nach oben, vorsichtshalber.

Nachdem er dann oben das Messer geputzt hatte, prüfte er die Schärfe der Klinge und stellte fest, dass sie wohl, nach seiner bescheidenen Laienmeinung, mindestens auf der Hälfte der Strecke zum Herzen stecken bleiben müsste. Aber das war ja nun kein Problem mehr, er hatte ja seinen Schleifstein da und nun würde er das Messer mal richtig schärfen, so scharf würde es zum ersten Mal in seiner Existenz sein. Er nahm den Stein zur Hand und das Messer und begann das Schärfen. Kein Problem, er hatte sowas hundertmal im Fernsehen gesehen, es war ganz einfach. Man musste nur immer in eine Richtung den Stein an der Klinge entlang ziehen und das so oft, bis das Messer scharf war, Kinderkram.

Nach einer halben Stunde schärfen stellte Herr Weber entnervt fest, dass das Messer kein Stückchen schärfer geworden war, im Gegenteil eher. Warum musste sich nun auch noch seine letzte Hoffnung, der letzte Begleiter seiner wenigen verbleibenden Augenblicke, nun so schmählich von ihm wenden? Voller Wut über diese Untreue schleuderte er Messer und Schleifstein in die Ecke, wobei das Messer glatt in zwei Teile zerbrach. Nachdem er sich wieder etwas beruhigt hatte, stand Herr Weber auf und holte die Bruchstücke aus der Ecke. Glatt in zwei Teile, die halbe Klinge abgebrochen. Als er die Spitze aufhob, schnitt er sich in den Finger.

Sofort fielen die Überreste des Messers wieder auf den Boden und Herr Weber lief hinüber ins Bad, wo der Medizinschrank hing. Schnell kühlen, die Wunde und dann ein Pflaster raussuchen. warum müssen die auch immer alle Formen und Größen herstellen, aber nie das, was man grade braucht? Nach einiger Zeit hatte er dann etwas gefunden und auf die Wunde geklebt, wenigstens blutete es jetzt nicht mehr. Das Waschbecken hatte allerdings einiges abbekommen. Nein, dachte Herr Weber sich, zwei Räume muss man ja auch nicht dreckig zurücklassen, es reicht, wenn ich die Küche vollblute.

Also holte er sich einen Lappen und etwas Scheuermilch und begann, die Blutflecken überall abzuwaschen. Nachdem er bei der Gelegenheit auch gleich die Dusche und den Rest des Badezimmers mit gereinigt hatte, ging Herr Weber zurück in die Küche und setzte sich wieder. Ihm war richtig warm geworden, vielleicht sollte er erstmal die Weste ausziehen. Das musste er sowieso, wenn er sich ein Messer ins Herz rammen wollte. Nachdem er sich der Weste entledigt hatte, stellte er fest, das er sich gar kein Messer mehr ins Herz rammen konnte, das war ja zerbrochen. Und ein anderes, das lang genug war, besaß er gar nicht.

Herr Weber stand auf und schaute zur Sicherheit noch einmal nach, nein, es gab kein anderes Messer, dass sein Herz mit Sicherheit durchbohren würde. Jetzt war sein ganzer toller Plan durcheinander geraten. Er musste sich etwas neues überlegen. Dazu brauchte man ja aber nicht in der Küche zu bleiben. Also nahm er sich ein Bier, das war überhaupt auch eine gute Idee, ein letztes Bier, nachdem der letzte Cappuccino schon so ein Reinfall gewesen war. Und mit dem Bier ging er dann hinüber und setzte sich auf die Couch im Wohnzimmer.

Noch bevor ihm ganz klar war, dass er ja eigentlich bloß seinen Tod neu planen wollte, hatte er aus alter Gewohnheit die Nachrichten angestellt. Voller Neid hörte er die Nachricht vom Massenselbstmord einer Sekte in Südamerika. Tja, dachte er, die haben noch Feuer da unten, nicht wie du alte Flasche hier, der du dein einziges Messer abbrichst. Doch in diesen Gedanken wurde er von der empörenden Nachricht unterbrochen, die Regierung plane eine weitere Steuererhöhung zum nächsten Jahr. Unglaublich. Wieder mal, dachte Herr Weber, wieder mal zocken die doch bloß mich kleinen Mann ab, um sich ihre Hintern zu vergolden! Voller Wut stellte er den Fernseher aus, nein, SOLCHE Meldungen brauchte er an seinem Todestag nicht.

Kurz darauf stellte er fest, dass die korrupte Bande, die das Land in ihren Greifern hielt, ihn ja gar nicht treffen würde mit ihrer Abzocke, er war dann ja schon tot. Das war allerdings wiederum sehr schön, erst hatte er's der Kaffeerösterei gezeigt und nun sogar der Regierung! Ja, mit ihm war nicht mehr zu spaßen, jetzt, wo er bald tot sein würde. Und wo er gerade dabei war: es musste ja eine neue Möglichkeit her, sich umzubringen. Also ging er nochmal alles durch:

Zuerst hatte er an eine Schußwaffe gedacht. Er war sogar in einem Waffengeschäft gewesen, die wollten aber einen Waffenschein sehen, bevor sie ihm etwas verkaufen wollten, also hatte er diese Möglichkeit ausgeschlossen. Der nächste Gedanke war: Tabletten. Beruhigungsmittel oder sowas, vielleicht auch Schlafmittel, die in der Apotheke würde das schon wissen. Die Apothekerin dort kannte er noch von früher und er hatte auch hier schon oft bei ihr etwas gekauft gehabt. Sie empfahl ihm ein starkes Schlafmittel, als er nach der tödlichen Dosis gefragt hatte, hatte sie ihm mit einem Augenzwinkern gesagt, dass sie nicht mehr als drei Schachteln auf einmal nehmen würde.

Allerdings sollte eine Packung glatte 60 Euro Selbstbeteiligung kosten, das neue Arzneimittelgesetz hatte er nie verstanden; 240 Euro, dass wir ihm allerdings zuviel. Soviel war ihm sein Tod denn auch nicht wert, weswegen er die Möglichkeit auch verworfen hatte. Dann gabs ja noch so Möglichkeiten, wie sich von einem Hochhaus zu stürzen oder von einer Autobahnbrücke oder so. Herr Weber fand allerdings, dass Selbstmord eine sehr intime Angelegenheit sei, die niemanden außer ihm etwas anging. Und dann so in aller Öffentlichkeit? nein, er wollte das bei sich zu Hause machen, wo er sich auskannte und ja, auch etwas wohlfühlte. Das war die richtige Umgebung dafür, kein Parkplatz vor einem Wolkenkratzer oder eine Autobahn.

Aus dem gleichen Grund schieden auch vor den Zug werfen oder mit dem Auto irgendwo gegen fahren aus. Er hatte sich dann auch um Erfrieren und Erhängen gekümmert, Nachdem beides ja auch nur in seiner Wohnung in Frage kam, stellte er zunächst fest, dass Erfrieren ausschied, weil sein Heizungssystem eine integrierten Frostschutz hatte, die Heizung sprang immer an, wenn sie selbst zu kalt wurde und da braucht es noch ganz andere Temperaturen, um ihn zum Erfrieren zu bringen! Erhängen fiel weg, weil er in seiner ganzen Wohnung keinen Balken oder soetwas fand, an dem er einen Strick hätte befestigen können. Und ein einfacher Haken, der würde sein Gewicht bei den Leichtbaudecken in seinem Haus nie halten.

Also war das auch beides Quatsch. Dann hatte er ja noch einen Trumpf in der Hinterhand, seinen Gasherd. Der eröffnete zwei neue Möglichkeiten, eine Explosion oder aber den Erstickungstod. Die Sache mit der Explosion hatte er dann aber wieder verworfen, denn die würde bestimmt mehr Schaden anrichten im Haus. Mindestens könnte sein Vermieter, der eigentlich immer sehr nett war, seine Wohnung nicht so schnell wiedervermieten und im schlimmsten Falle kamen noch andere im Hause zu schaden. Nein, das wollte Herr Weber nicht.

Die Sache mit dem Ersticken, das war dann so eine zweischneidige Sache gewesen. Einerseits wusste er nicht so genau, wieviel Gas man da brauchte und ob er seine Küche überhaupt so luftdicht verschlissen konnte, wie es notwendig gewesen wäre. Und andererseits hatte er keine Ahnung, ob dieses Gas überhaupt tödlich war und wie lange das dann dauern würde. Womöglich würde er dort einige Tage sitzen, das würde ja auch langweilig werden mit der Zeit und wenn er ein Buch mitnähme, dann würde er bei seinem plötzliche Tode ja nie das Ende erfahren, das wäre auch nicht schön.

Womöglich würde er auch gar nicht ersticken, sondern vielmehr würde ihn das Gas langsam vergiften. Dieser Gedanke hatte ihn dann vom Gas weggebracht, ihm aber gleichzeitig eine neu Idee vermittelt: Gift. Nachdem Herr Weber in seinem Keller nichts gefunden hatte, was er für giftig genug befunden hätte, um sich damit umzubringen, hatte er beschlossen, in der Bücherei ein paar Bücher zu leihen, in denen es um Gifte ging und dann ein schönes auszuwählen. Er hatte auch einige schöne Bücher gefunden, als er aber die Nebenwirkungen und die vielen Begleiterscheinungen so eines Gifttodes näher untersuchte, stellte er fest, dass das keine angenehme Art war, zu sterben.

Und so war er auf das Messer gekommen, dagegen sprach nichts, man kam an ein Messer billig heran, außerdem ging der Tod schnell und ohne Nebenwirkungen und Risiken vonstatten. Also genau seine Sache. Und auch jetzt erschienen ihm alle anderen Möglichkeiten irgendwie unsympathischer. Allerdings war ihm bei dieser ganzen Überlegung eingefallen, dass er die Bücher über Gifte noch gar nicht zurückgegeben hatte. In seinen ganzen Todesplanungen war er da ganz drüber hinweg gekommen. Nunja, was sollten die schon machen, wenn er tot wäre? Trotzdem musste man es ja auch nicht herausfordern. Also war's doch ganz gut, dass sein Messer abgebrochen war, so konnte er morgen die Bücher zurückgeben und dann auch gleich ein neues, scharfes Messer kaufen. Morgen abend würde es sich dann genausogut sterben wie jetzt.

Und zufrieden mit seinem Plan ging er ins Bett. Eine gewisse Unruhe hatte ihn gepackt, weil dies ja nun schon wieder seine letzte Nacht werden würde, die letzte letzte Nacht hatte schon schlecht geschlafen, vielleicht wäre er irgendwann zu müde, um noch gezielt Selbstmord zu begehen. Dieser Gedanke ließ ihn krampfhaft versuchen, endlich einzuschlafen, was ihn daran hinderte, zu schlafen. Um sich dann von seinen Problemen abzulenken, grübelte Herr Weber darüber nach, wie seine Henkersmahlzeit morgen denn aussehen sollte. Er hatte ja heute auch schon eine gehabt.

In dem falschen Glauben, dass es seine letzte sei, hatte er sein Lieblingsgericht, Hühnerfrikassee a la Hawaii, gewählt. Das konnte er ja nun morgen nicht schon wieder essen. Aber was war denn sein Zweitlieblingsgericht? So genau hatte er sich da noch nie drüber Gedanken gemacht. Vielleicht ein schönes Zigeunerschitzel? Dafür hatte er aber die Zutaten nicht im Haus, außerdem gelang ihm die Soße nie so gut. Und das einzige Restaurant, das in dieser Stadt ein halbwegs genießbares Zigeunerschnitzel anbot, dass hatte erst abends geöffnet und war zudem sehr teuer. Nein, da musste ihm etwas anderes einfallen.

Während sich in seinen Gedanken die verschiedenen Wild- und Haustiere gegenseitig in unterschiedlichste Gerichte verwandelten, zu denen sich dann auch noch verschiedene Schwärme Geflügel gesellten, braungebrutzelt, versteht sich und er mit aller Macht versuchte, die gebratenen Fische, die ihm andauernd in seine minütlich variierende Suppe sprangen, mit Nudeln zu fesseln, glitt Herr Weber unmerklich ins Reich der Träume hinüber.

Am anderen Morgen stand er auf, als sein Wecker pünktlich um 6:30 geklingelt hatte und ärgerte sich, dass er ihn nicht ausgeschaltet hatte. Einmal wäre es wirklich egal gewesen, aber dann vergaß er natürlich, seinen Wecker abzustellen. Typisch. Nunja, die Bücherei machte erst um 10 auf, damit hatte er eine Menge Zeit für ein gutes Frühstück. Er beschloß, nachdem er ja auf soetwas wie Frühstück bei sich Zuhause nicht mehr eingerichtet gewesen war und also nichts im Haus hatte, beim Bäcker um die Ecke zu frühstücken.

In der Bäckerei unten bestellte dann das Frühstück, das er sich dort ab und zu einmal leistete, wenn er zu faul gewesen war, am Tag davor noch einzukaufen oder aus einem anderen Grund sein Frühstück zu Hause ausfiel, wie zum Beispiel damals, als sein Toaster defekt war und er die total verkohlten Toasts nur mit einem Schraubenzieher wieder herausbekam. Der war glücklicherweise isoliert gewesen, denn wie Herr Weber kurz darauf festgestellt hatte, hatte eine Überspannung den Fehler verursacht und er wäre wohl nicht mehr am Leben, wenn er da dran geraten wäre. Aber dieser Ironie war er sich jetzt nicht wirklich bewusst, als er sein übliches Frühstück bestellte:

Zwei halbe, belegte Brötchen; ein Buttercroissant und eine Tasse Tee. Eigentlich trank er ja Kaffee viel lieber, aber seit einigen Monaten konnte er so schlecht schlafen, wenn er zuviel Kaffee trank und da er von seinem nachmittäglichen Cappuccino nicht lassen wollte, hatte er also begonnen, morgens Tee zu trinken. Erst, als er den Tee bereits getrunken hatte, viel ihm ein, dass er sich darüber ja an diesem Tag keine Gedanken hätte machen brauchen, da war es aber schon zu spät. Obschon ihn diese Unaufmerksamkeit schon ärgerte, nahm er sich vor, sich von solchen Kleinigkeiten seinen Todestag nicht verderben zu lassen.

Nachdem er noch einen Spaziergang gemacht hatte, holte er die Bücher aus seiner Wohnung und ging zur Bücherei. Dort hatten sie gerade einen Aktionstag, man bekam ein Buch aus einer großen Kiste geschenkt, das man sich sogar selbst aussuchen konnte, wenn man zwei weitere auslieh. Obwohl Herr Weber sich sagte, dass er diese Bücher alle nicht lesen könnte, schien ihm das Angebot aber doch zu verlockend. In diesem offenbaren Zwiespalt kam ihm der Zufall zur Hilfe, als nämlich ein kleines Mädchen sich zwei Bücher aus der Kiste ausgesucht hatte, die Bibliothekarin ihr aber nur eines geben wollte, wie es dem Angebot entsprach.

Kurzentschlossen nahm Herr Weber sich die nächstbesten Bücher her und lieh sie aus, nahm das andere der beiden Bücher als Geschenk und gab es dem kleinen Mädchen, dem er zu warten bedeutet hatte. Danach gab er die beiden Bücher mit den anderen zusammen wieder zurück. Als er aus der Bücherei kam, stand das kleine Mädchen noch immer vor der Tür und als es ihn sah, kam es zu ihm und bedankte sich so herzlich, dass er es noch auf ein Eis einlud. Als das Mädchen dann nach Hause musste und sich überglücklich verabschiedete, ging Herr Weber in die Stadt hinein, um sich nun endlich ein Messer zu besorgen.

Ein Gefühl von Zufriedenheit mit sich und der Welt durchwogte ihn, er würde bald sterben, er hatte alles in Ordnung gebracht und zudem auch noch, vielleicht zum ersten Mal überhaupt, jemanden glücklich gemacht. Ja, das war ein würdiger Abschluss für sein Leben, nun noch das Messer und er konnte loslegen. Irgendwie, dachte er, war es ja schon seltsam, dass das Messer grade gestern kaputtging, als er sich umbringen wollte. Vielleicht sollte er ja noch dieses Mädchen glücklich machen. Und in einem überschwenglichen Gefühl, dass er den Sinn seines Leben gefunden und zugleich erfüllt habe, ging Herr Weber in das teuerste Geschäft, das er kannte und das Messer führte.

Noch nie war er in diesem Laden gewesen, weil er eigentlich nie so viel Geld besessen hatte, dass er es hier ausgeben konnte. Aber heute, am offenbar besten (und letzten) Tag seines Lebens, da konnte er sich das durchaus mal erlauben. Und so stand er also in diesem Laden, der eine ihm unangenehme Ruhe ausstrahlte, eine Atmosphäre, die ihm sagte: fass nicht an, was du nicht bezahlen kannst! und die er deswegen schon nicht mochte. Vergeblich hielt er nach einer Verkäuferin Ausschau, ebensowenig wie er eine fand, traute er sich, die Auslegeware selbst einmal in die Hand zu nehmen, um zu schauen, welches Messer denn lang genug und auch schön handlich wäre.

Nach einigen Minuten kam eine (unerwartet junge) Frau aus einem Hinterzimmer heraus und entschuldigte sich bei Herrn Weber dafür, dass er warten musste, sie hätten einen wichtigen Anruf gehabt und nun würde sie ihm aber zur vollständigen Verfügung stehen. Herr Weber hingegen sah sie an und ihm fiel nichts besseres ein, als zu fragen, von wem der Anruf gewesen sei. Die Verkäuferin lächelte und meinte, es wäre ihre Tochter gewesen, sie hätte einen Mann in der Bücherei getroffen, der ihr ein Buch geschenkt habe und sie sei seit dem Tod des Vaters nicht mehr so fröhlich gewesen.

Gleich darauf entschuldigte sie sich und meinte, dass ihn das alles wohl gar nicht interessiere und sie auch nicht wisse, weswegen sie ihm das alles erzähle. Angestrengt versuchte Herr Weber, während er seine Augen von ihren zu lösen probierte, sich daran zu erinnern, was er eigentlich hier wollte. Und plötzlich wusste er es wieder, aus irgend einem Grund war das Essen heute besonders wichtig! Und so lud er die Verkäuferin spontan zum Mittagessen ein. Als die ihrer Kollegin Bescheid gegeben hatte und ihre Sachen geholt, gingen die beiden hinaus und in ein schickes, italienisches Restaurant. Dort lief im Radio grad die Meldung von einem gescheiterten Selbstmörder, der jetzt seine große Liebe gefunden hätte und die Krankenschwester, die ihn seinerzeit wiederbelebte, nun heiraten wollte.

Nachdem beide bestaunt hatten, was es doch für seltsame Geschichten gäbe, fragte die Verkäuferin Herrn Weber, was er eigentlich genau in dem Laden gewollt habe. Und er antwortete: Nur ein Mittel, um mein langweiliges Leben zu beenden.